…aus der Sicht einer Primi-Passi-Begleiterin

Seit über 10 Jahren begleite ich Menschen in einer akuten Trauersituation. Ich leiste diesen Dienst aus vollem Herzen, aus der Überzeugung, dass die unmittelbare Begleitung nach dem Tod eines nahen Angehörigen ihnen hilft, in einen heilsamen Trauerprozess zu kommen.

Bevor ich ein Trauerhaus betrete, „erde“ ich mich, sage mir, es ist nicht mein Kind, dass gerade gestorben ist und bin ganz da. Ich lasse mich auf die Situation und die Hinterbliebenen ein, so wie sie sind. Kein Einsatz ist wie der andere. Vorher weiß ich nicht, wie das Miteinander sich gestalten wird, weil ich die Menschen nicht kenne und ich auch jedes Mal eine „andere“ bin. Das Entscheidende ist, ganz da zu sein, zuzuhören und emphatisch mitzugehen. Sobald die Menschen spüren, dass da jemand ist, der selbst erfahren hat, wie ein solch existentieller Verlust sich anfühlt, lassen sie ihre Gefühle zu, auch ihr Erstarrtsein, und es entwickelt sich eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der geweint, geklagt und das Unaussprechliche unausgesprochen bleiben darf. So werden nach und nach auch Fragen gestellt, die es uns ermöglichen auf die verschiedenen Möglichkeiten des Abschiednehmens und der Trauerfeier einzugehen und wie überhaupt die Möglichkeit eines Überlebens für die nächsten Tagen aussehen kann. Die Gewissheit der Menschen, sie können mich immer anrufen, ich werde wieder kommen, wenn sie es mögen, helfen gemeinsam den ganz individuellen Weg zu finden, wie es für sie weitergehen kann. Diese Erfahrung gibt den Menschen Sicherheit in dieser fundamental erschütterten Wirklichkeit und sie können ein Stückchen Halt finden. In den ersten Tagen bin ich manchmal täglich bei der Familie.

Kann diese Präsenz nicht auch ein etwas weiter entferntes Familienmitglied leisten oder Freunde? Grundsätzlich sicherlich ja. Aber die Erfahrung sagt, dass die Menschen aus dem sozialen Umfeld selbst so erschüttert sind, dass sie es zwar gut meinen, aber manchmal die Hinterbliebenen „überschütten“ mit gut gemeinten Aktionen oder Ratschlägen, die die Frischbetroffenen schnell überfordern. Dennoch ist es natürlich unendlich wichtig, dass Nachbarn und Freunde, Kollegen und Verwandte über einen langen Zeitraum für die Trauernden da sind. Manche Einsätze beinhalten auch gerade die Betreuung des sozialen Umfeldes, um sie zu befähigen, eine angemessene Unterstützung geben zu können.
Oft entsteht ein Vertrauensband zwischen dem Begleiter und den Betroffenen, das über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt und aus der sich eine längerfristige stützende Beziehung entwickelt. Eine solche intensive Akutbegleitung ermuntert die Betroffenen auch Trauergruppen zu besuchen, weil sie schon einmal die Erfahrung gemacht haben, dass die gleiche Betroffenheit eine gute Voraussetzung für eine tragfähige Unterstützung über einen längeren Zeitraum ist. Wo finde ich sonst so viele „Experten“ in einem geschützten Raum?

Diese Art der Unterstützung ist für den Begleiter eine anspruchsvolle aber nicht überfordernde Arbeit, wenn sie immer wieder die Möglichkeit haben, über die Einsätze zu reflektieren, Supervisionen erhalten und gut auf die eigene Fürsorge achten. Wichtig erscheint mir, in ein Trauerhaus hineinzugehen, ganz da zu sein, um danach aber auch wieder ganz rausgehen zu können.
Damit diese Arbeit gelingen kann, ist die Frage der Ausbildung, der Übung, der Selbstfürsorge und der Supervision Voraussetzung für eine professionelle Akutbegleitung für trauernde Familien.

Freya v.Stülpnagel

…aus der Sicht von Betroffenen

In der Zeit, die eigentlich die Schönste im ganzen Jahr sein sollte, haben wir das Schrecklichste erlebt, was Eltern erleben können.
Im Winterurlaub in Südtirol mussten wir nach einem schweren Skiunfall unseren liebsten Maxi mit nur 15 Jahren ziehen lassen.

Nach drei unbeschwerten Tagen passierte am vierten Tag dieser schreckliche Unfall, der uns von der einen auf die andere Sekunde unser Kind nahm.

Dann kehrten wir zurück nach Hause, plötzlich nur noch zu dritt. Wir saßen in unserem Haus, ohne zu verstehen, was da passiert war.

Gleich nach dem Tod unseres Sohnes stellten Verwandte den Kontakt zum Verein Verwaiste Eltern her. Da die Akutbegleitung Primi Passi mit ihren ehrenamtlichen Mitarbeitern immer erreichbar ist, konnten wir uns gleich verabreden.

Freya v. Stülpnagel, selbst betroffene Mutter, war es, die uns in diesem unbeschreibbaren Gefühl des absoluten Ausnahmezustands der Stunde Null Sicherheit, Orientierung und Halt gegeben hat.

Niemals werden wir ihre tröstlichen Worte und ihre Mut machenden Sätze, wie man überhaupt überleben kann, vergessen.

Freya v. Stülpnagel hat uns auf den Weg gewiesen, den wir bis heute gehen.

K.u.G.u.M. Z.

…aus der Sicht eines Traumaexperten

Interview mit Richard Tedeschi